In Helzles Selbstportraits fehlt der Blick in den Spiegel, die eigene Gestalt scheint ausgeblendet. Helzle verweist auf eine alte indische Weisheit: „Das, was man sieht, ist man“ und erkundet - sich selbst prüfend – die Welt. Über einen Zeitraum von 365 Tagen (Mai 2010 bis Mai 2011) versuchte der Künstler, sich vom narzisstischen Selbstbild zu lösen und sein Leben zu fassen - jedes Bild, jeder Tag steht für eine andere Empfindung, eine neue Begegnung. Spürbar wird die Unmittelbarkeit seiner Wahrnehmung. Alles kommt vor - der Himmel, die Wolken, das Kruzifix, der Vater. „Fragen will ich stellen“, so der Künstler, „ich überlege mir eine Arbeit, damit ich mir Fragen stellen kann. Jeden Tag ging ich raus und wollte es wissen: ist es das Gleiche?
Der Beobachter ist das Beobachtete
In den letzten Jahren gab es bei meinen Studien immer wieder Hinweise auf einen großen Lehrer des 20. Jahrhunderts, Jiddu Krishnamurti. Als es dann soweit war und ich mich in die Lektüre seines Werks mit dem Credo „Die Wahrheit ist ein pfadloses Land“ vertiefte, war ich schnell fasziniert von seiner kompromisslosen Schau und Sprache und seiner Klarheit und bleibe zutiefst beeindruckt. Ein immer wieder zu findender Satz von ihm ist, dass der Beobachter das Beobachtete sei und dass alles Leid der Erde daraus entstünde, wenn wir uns nicht entsprechend verhalten. Nun war mir diese Aussage von Anfang an immer nah, jedoch fehlte etwas zum wirklichen Verstehen und ich beschloss, zu dieser Aussage/Frage eine Arbeit zu entwickeln. So nahm ich einen Fotoapparat und ging ein Jahr lang jeden Tag hinaus, um ein Foto zu machen – der Beobachter (ich mit Kamera) und das Beobachtete (das Motiv). Oft waren es viele Fotos bei den Erkundungen und ich wählte eines davon für diesen Tag aus. Und da passierte dann allerhand. Zuerst bewegte ich mich um das Haus herum, Ende Mai stand vieles in vortrefflicher Blüte. Hier war die Analogie relativ schnell gefunden: Das Werden und Vergehen, die volle Blüte, die Vielfältigkeit. Und viel gab es zu lernen: Bringe ich mich selbst auch so uneingeschränkt, so hingebungsvoll, so ohne auch nur einen Vorbehalt oder Hintergedanken oder auch nur eine Bedingung zum Blühen?Bald jedoch stieß ich an die Grenzen der Botanik und der erste Mensch tauchte auf in der Serie, ein Schäfer in der Nachbarschaft. Es war klar, dass er hier rein musste. Der Beobachter? Das Beobachtete? Das Gleiche? Und schon zog es mich hinunter auf die Ebene der Zellen, der Atome und Gene und brachte mich auch zu einem anderen Satz von Herrn Krishnamurti, welcher meine Wahrnehmung von Wirklichkeit verändert hat: „Sie glauben doch nicht, dass dieses Gehirn ihnen gehört?!“ So wurde ich gewahr, dass ich der Träger eines menschlichen Nervensystems bin, das ich selbst, persönlich, individuell nicht erfunden habe, welches sich in Millionen von Jahren zu dem entwickelt hat, was es heute ist . Dies macht mich absolut gleich mit dem Schäfer dort und nicht nur mit ihm.Eine der nächsten Hürden war der Besuch des Munitionsmuseums im Lager des ehemaligen Truppenübungsplatzes in Münsingen anlässlich der Eröffnung des Zentrums des Biosphärengebiets eben dort. Es war eindeutig, dass ein Foto dieser – in wunderbarer Detailtreue ausgestellten – Menschenvernichtungsgeräte zum Bild des Tages werden musste. Wie jetzt? Ich als der Inbegriff des Friedensbewegten? Wehrdienstverweigerer, Zivildienstleister, was ist jetzt in dich gefahren? Als ein Siebenmilliardelstel der Weltbevölkerung – wurde mir alsbald klar - kann ich mich nicht distanzieren von 99% dessen, was im Namen dieser Weltbevölkerung alles passiert und sagen ich bin ein besserer Mensch. Ich kann nach wie vor sagen, da mache ich nicht direkt mit. Ich befahre allerdings dieselben Straßen, die mit Steuergeldern hergestellt wurden von der deutschen Rüstungsindustrie, welche die drittgrößte der Welt ist, wie jeder andere. Ist nicht vielleicht auch schon eine Arbeit von mir gekauft worden mit Geld, dass aus diesem Kreislauf stammt? Wer weiß. Mir wurde klar, dass ich als Mensch alles auf mich nehmen muss, was im Namen der Menschheit geschieht (zumindest ein Siebenmilliardelstel davon), und ich kann mich auch dafür schämen oder darüber freuen. Und ich kann mein Verhalten anders abwägen, als wenn ich sage, daran sind andere schuld.Über diese vielen Ereignisse wurde mir immer klarer, dass mich auch noch etwas anderes zu dem macht, was ich beobachte: Dieses menschliche Nervensystem samt allen Sinnesorganen nimmt die Welt, die Wirklichkeit, in einer bestimmten Art und Weise war, eben einer menschlichen (ein Frosch nimmt eine andere Welt war). Ist es dadurch nicht so, dass ich die Welt erschaffe? Und so staunte ich täglich, ein Jahr lang, und nach wie vor.
Einige Beispiele