Der Weg ist das Ziel
„So Da Sein in seiner Menschlichkeit als einzelner: Inständig horchte ich in die Welt hinaus, als könnte ich mir von dorther begegnen.“
Peter Rosei, Von Hier nach Dort
Die ersten Wanderungen entlang Oberschwäbischer Pilgerwege führten Wolf Nkole Helzle zu einer Ausdrucksform, welche die gesamte Strecke, die Gedanken und Bewusstseinsveränderungen während des Gehens einfängt: Seine walks bestehen aus jeweils bis zu einhundert subjektiv übereinander gelegten Einzelaufnahmen entlang einer bestimmten erwanderten Route. So entstehen Häuserschluchten, sich öffnende Lichtungen, Wiesen oder Wälder, die in den Himmel hineinwachsen - stets jedoch mit einem Weg oder Fluss, der in die Bildtiefe führt, der klar definiert und doch grenzenlos ist.
Es liegt etwas Ewiges in und auf diesen begangenen Wegen, denn die Natur verliert ihre Materialität, ihre Konsistenz. Die Bilder sind nicht eindeutig fassbar, sondern wirken wie Nebelräume, die sich nach unten zu verdichten scheinen, Atmosphärisches entstehen lassen und die Illusion von schwebender Bewegung erzeugen. Die Umrisse sind aufgelöst, tonige Klänge verbinden zur homogenen Einheit. Die Natur drückt sich in weichen, wolkigen Strukturen aus, ohne den Gang in die Tiefe aufzugeben.
Helzles Arbeiten brillieren in einer Sedimentation hauchdünner Schichten mit eigener Tiefenwirkung, zwar optisch flirrend, technisch jedoch höchst präzise.
Diese diffusen Farb- und Lichträume erschließen sich dem Betrachter in meditativer Stille und doch ist es kein Ausdruck der Einsamkeit des Menschen. Helzles Arbeiten evozieren ein Gefühl der Erhabenheit. Es ist ein „romantischer“ Versuch, den Betrachter visuell in einem unbegrenzten Raum aufgehen zu lassen. „Wie glücklich ist der Landschaftsmaler, der von jeder Veränderung in der Natur in jedem Moment erregt ist", notierte einst der englische Maler und Aquarellist William Turner.
Helzle schlägt eine Brücke zwischen der realen und abgebildeten Welt und regt mit der konzeptuellen Geste zu der Frage an, wie wir Leben verstehen und was wir tun können, um es nicht nur digital neu zu schaffen, sondern auch zu bewahren. Mit jeder neuen Einstellung – mit Zeit, Raum und Bewegung – baut der Künstler eine Beziehung zu seinem Stück Weg auf und lässt dem Betrachter nicht die Wahl, sich dem zu entziehen.
Obwohl fotografisch verdichtet, scheinen die Landschaften transparent, werden zur Ahnung und Seele, zu einem meditativen Zeit-Weg-Gedanken-Konstrukt. Durch pure gesteigerte Betrachtung verändert der Künstler seine Motive, als würde er durch die Beharrlichkeit des Schauens in sie eindringen, ihr Wesen erfassen und sie damit zugleich ihrer Konkretheit berauben. Seine Wahrheit hat immer etwas mit der individuellen Wahrnehmung zu tun und kreist letztendlich um die Frage nach dem Individuum und der umgebenden Welt, nach dem Ich und Wir.
Betha Maier-Kraushaar, Kunsthistorikerin
Kunsthaus Fischer Stuttgart
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