Zu seinem fünfjährigen Jubiläum im Herbst 2014 widmet das Museum Biedermann einem ganz besonderen Werk eine vielschichtige, prozesshaft gewachsene Ausstellung im Leseraum und zwar dem gemeinsamen, kollektiven Portrait des Museum Biedermann.
So waren die Besucher des Museums schon bei der Eröffnung der großen Wechselausstellung "Lichtspiele im Museum Biedermann", sowie an bestimmten Tagen und Events in deren weiteren Verlauf, eingeladen, unter dem Motto „Homo universalis – Willkommen im Museum Biedermann“ Teil des groß angelegten, performativen Fotoprojektes des Social Media Künstlers Wolf Nkole Helzle zu werden.
Insgesamt 1273 Menschen hat der Social Media Künstler Wolf Nkole Helzle in diesem Jubiläumsjahr bei verschiedenen Veranstaltungen seit Eröffnung der Ausstellung „Lichtspiele im Museum Biedermann“ fotografiert, und zwar teilweise im Museum selbst, aber auch während der diesjährigen Sonderschau des Museum Biedermann auf der Art Bodensee in Dornbirn.
Besucher, Gäste, Kindergartengruppen, Schulklassen, Mitarbeiter, Kooperationspartner und Freunde des Museums haben teilgenommen und zieren nun selbst als Teil eines viel-gesichtigen Kunstwerkes die Museumswände im Leseraum. Das klassische Verhältnis kehrt sich somit um. Die Besucher werden selbst zur Kunst, die Betrachter sind zugleich das Betrachtete und bilden in deren vielfachen Überlagerung das gemeinsame Gesicht des Museum Biedermann.
Wolf Nkole Helzle, geboren 1950, studierte zunächst Malerei in Stuttgart und Kassel, arbeitete dann jedoch 20 Jahre in der Hard- und Softwareindustrie, bevor er sich Mitte der 1990er Jahre wieder der Kunst und vor allem einer – für ihn bis heute richtungsweisenden – künstlerischen Fragestellung zuwandte. So geht es in seinen vielfältigen Projekten immer wieder um die Beziehung vom Individuum zum Kollektiv, dem Einzelnen zu den Vielen. Oder mit seinen eigenen Worten ausgedrückt: „Wie kann ich das Verhältnis verstehen zwischen mir als Individuum und der Menschheit insgesamt, diesen mehr als 7 Milliarden Menschen?“
Um sich – im wahrsten Sinne des Wortes – „ein Bild“ von diesen Zusammenhängen zu machen, verfolgt der Künstler seit nunmehr ebenfalls fast 20 Jahren ein groß angelegtes, performatives Projekt. Innerhalb dessen sammelt er weltweit, bei verschiedenen Anlässen Gesichter von Menschen, die sich bei einem kurzen Fotoshooting, in frontaler Ansicht und vor schwarzem Hintergrund porträtieren lassen. Der Fokus ist dabei lediglich auf das Gesicht gerichtet. Es entsteht ein reines Kopfportrait, herausgehoben aus allen sonstigen Zusammenhängen, so dass nichts von der jeweils individuellen Physiognomie ablenkt. Bilder aus dem Internet oder Fotoautomaten kommen jedoch nicht in Frage, denn Wolf Helzle sucht stets den persönlichen Kontakt. So sagt er: „Ich möchte die Leute miteinbinden, damit sie nah an der Kunst sind. (…) Letztlich ist der Mensch selbst das größte Kunstwerk“. Auf diese Weise haben mittlerweile mehr als 40.000 Portraits aus verschiedenen Ländern in Europa, Asien und Afrika Eingang in seine Datenbank gefunden, und ständig werden es mehr!
Das Aufnehmen und Sammeln der Gesichter ist dabei für den Künstler wie eine Verbeugung vor der unendlichen Vielfalt der Menschheit. Und wie viele von Ihnen in der persönlichen Begegnung sicher auch gemerkt haben, der Künstler Wolf Helzle „schätzt“ sein künstlerisches Arbeitsmaterial – die Menschen – sehr, und somit ist jede Begegnung für ihn einzigartig. Zugleich ist ihm jedoch sehr bewusst, dass sich diese Vielfalt – den zugrundeliegenden Prinzipien entsprechend – letztlich durch eine endlose Variation des Gleichen auszeichnet. Wir alle sind eng miteinander verknüpft, sei´s rein biologisch, gesellschaftlich oder auch philosophisch betrachtet. Entgegen teilweise noch immer herrschender und einander entgegenstehender Gesellschaftsbilder ist für Wolf Helzle somit ein Kollektiv niemals ohne die Individuen, und ein Individuum niemals ohne das Kollektiv denkbar.
Dieser Leitgedanke liegt auch den multiplen Portraits – oder auch „Kollektivportraits“ – der Werkserie „HOMO UNIVERSALIS“ zugrunde. In einem speziell entwickelten Computerprogramm werden dazu die Einzelportraits transparent übereinander geschichtet und bilden so ein „neues“, gemeinsames Gesicht. Dabei ermöglicht die Computertechnologie eine absolut gleichberechtigte Überlagerung, oder vielmehr „Vereinigung“ der Portraits, da im digitalen Datenraum weder die Reihenfolge, noch die Prägnanz eines individuellen Merkmals ein vordergründiges Mehr an Aufmerksamkeit erzeugen.
Faszinierend ist, dass durch die Überlagerung die spezifischen Gesichtszüge zwar verwischen und die Übergänge bei zunehmender Teilnehmerzahlimmer weicher werden, sich zugleich jedoch in den markanten Gesichtspunkten wie Augen, Nase und Mund verdichten, so dass tatsächlich immer wieder ein neues, einzigartiges Gesicht von malerischer Qualität entsteht. Mit seinem meist freundlichen Äußeren und den uns scheinbar in jeder Perspektive in Augenschein nehmenden Blick wirkt es sehr lebendig. Zugleich ist es aber in Alter und Geschlecht oft nur schwer festzumachen, und je mehr man sich ihm nähert, desto mehr entzieht es sich einer eindeutigen Beschreibung. Dadurch wirkt es zugleich nah und entrückt, vertraut und doch fremd, hält aber gerade deshalb unseren Blick gefangen und strahlt beinah etwas von einer zeitlosen, allgegenwärtigen Präsenz aus.
Neu und einzigartig ist aber auch die entwickelte Präsentationsform für das Museum Biedermann. So steht in der Ausstellung nicht nur ein einzelnes Kollektivportrait den vielen individuellen Gesichtern gegenüber – so wie es ansonsten meist der Fall ist bei den Ausstellungsprojekten Wolf Helzles – sondern neben dem gemeinsamen Gesicht des Museum Biedermann entstanden als verschiedene Zwischenstufen zwölf weitere Gemeinschaftsportraits. Diese sind zum einen verschiedenen Besuchergruppen bei Veranstaltungen gewidmet – wie z.B. den Besuchern am Eröffnungswochenende, oder am internationalen Museumstag, sowie den Gästen bei dem schon erwähnten Sonderstand auf der Art Bodensee, oder auch beim Open-Air-Kino gemeinsam mit dem Gucklochkino und zuletzt beim Tag der offene Tür zum Jubiläumswochenende vor zwei Wochen.
Zum anderen möchten wir mit den kollektiven Gruppenportraits aber auch speziell eingeladene Gruppierungen von Freunden, Mitwirkenden und Kooperationspartnern würdigen.
So z.B. die Kindergartengruppen vom St. Elisabeth-Kindergarten, die seit einigen Jahren regelmäßig unser Museum besuchen, ebenso wie die Schüler der Eichendorffschule und der Kaufmännischen und Hauswirtschaftlichen Schulen.
Dann stellvertretend einige Vertreter der Stadt Donaueschingen, wie die Bürgermeister Eric Pauly und Bernhard Kaiser und den Stadtbaumeister Heinz Bunse, zusammen mit den Mitarbeitern des Kultur- und Tourismusamtes und einigen Vertretern und Schülern der Kunst- und Musikschule, mit denen wir immer wieder gut und sehr gerne zusammen arbeiten.
Natürlich wäre das Museum aber auch ohne die Architekten, Handwerker und Techniker ganz bestimmt nicht das was es ist, weshalb auch ihnen ein Kollektivportrait gewidmet wurde.
Und eine weitere, ganz besondere „Note“ haben schon mehrere unserer Veranstaltungen erhalten durch die wiederholte Zusammenarbeit mit der Landfrauengruppe Donaueschingen und den Mitwirkenden der Grauzone e.V. – Hilfe bei sexueller Gewalt sowie den Draxler-Buam.
Und last but not least könnte das ganze Zusammen aber natürlich überhaupt nicht funktionieren, ohne das Team des Museum Biedermann. Dieses setzt sich zusammen aus dem engeren Kreis für Organisation, Infotheke und Aufsicht um Tomislav Pavrlisak, Frau Zimmerlin, Frau Ohnmacht und Frau Mattner. Dann den freien Mitarbeitern für Aufbau, Grafik und Presse, sowie dem immer größer werdenden „Führungsteam“ zur Vermittlung der Kunst an Jung und Alt und dem mittlerweile ebenfalls immer mehr gewachsenen Stamm an Aushilfskräften bei unseren Veranstaltungen.
Ja, Sie alle prägen das Gesicht des Museum Biedermann, und zwar eines meiner Meinung nach sehr sympathischen Gesichtes. Denn letztlich funktioniert ein Museum nicht ohne seine Besucher, Mitwirkenden und Freunde, und das möchten wir mit dieser Ausstellung deutlich machen.
Dabei fällt jedoch auf, dass sich die verschiedenen Kollektivportraits – die das Zentrum der verschiedenen Gruppierung bilden – zum Teil ziemlich ähnlich sehen, fast so wie Geschwister oder vielleicht sogar wie Zwillinge.
Was zunächst irritiert, dürfte jedoch bei genauerer Betrachtung und Überlegung eigentlich nicht mehr so sehr verwundern. Denn je mehr Menschen zusammen kommen, desto mehr sollten sich – auch im Idealfall einer demokratischen und gleichberechtigen Gesellschaft – die individuellen Ausprägungen in das gemeinsame Ganze einfügen und nur die wesentlichen, wirklich mehrheitlich verbindlichen Ausprägungen zum Ausdruck kommen.
Da die Menschen in unserem Kontext meist von einem europäischen, eher hellhäutigen Äußeren geprägt sind, das oft von einer Brille geziert wird, wird dies natürlich auch in den durch das Computerprogramm erstellten Kollektivportraits sichtbar, während individuelle Kennzeichen bei zunehmender Teilnehmerzahl immer mehr verschwinden.
Aber dennoch: wie bei der Ähnlichkeit von Geschwistern und sogar bei eineiigen Zwillingen, unterscheiden sich die Kollektiv-Gesichter trotzdem, und sind im Detail jedes Mal einzigartig.
Dabei werden diese vielen Beobachtungen natürlich besonders reizvoll im Vergleich zu den Kollektivportraits von anderen Nationalitäten und Kulturen, die Wolf Nkole Helzle innerhalb seines international ausgerichteten Fotoprojektes ebenfalls schon besucht hat. Und noch spannender wird es, wenn tatsächlich viele Kulturen und Nationen an einem Ort zusammen kommen, so wie bei dem ebenfalls aktuell laufenden Fotoprojekt des Medienkünstlers zur Eröffnung des Welcome Centers in Stuttgart, mit der größtmöglichen Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen und Nationalitäten aus der Region – und das sind bis zu 180 – auf dessen vorläufiges Ergebnis man derzeit gespannt sein kann.
Ich sage „vorläufiges Ergebnis“, denn wahrscheinlich wird es wohl nie möglich sein, wirklich alle Beteiligten einer Gruppe, einer Gesellschaft oder gar der Weltbevölkerung fotografisch aufzunehmen. Aber für Wolf Nkole Helzle ist im wahrsten Sinne des Wortes „der Weg das Ziel“, auf dem sich immer wieder neue Möglichkeiten und Begegnungen zutragen, die das Gesamtprojekt bereichern und die sich in der kontinuierlichen Fortführung immer mehr dem großen Ganzen annähern.
Entsprechend ist natürlich auch diese Präsentation hier im Museum Biedermann „nur“ ein gewisser Ausschnitt für die Menschen und Gruppierungen, die das vielschichtige Portrait des Museum Biedermann prägen.
Simone Jung, Kunsthistorikerin