media artist

THE FACE OF FRAUNHOFER IIS

Oszillieren – Technologie als Kunstprozess

Wolf Nkole Helzle arbeitet seit 2009 an seinem kollektiven Portaitprojekt Homo Universalis, an dem bereits ueber 40.000 Menschen aus Europa, Asien und Afrika Eingang gefunden haben. Helzle schichtet dazu Einzelportraits transparent uebereinander. Ein speziell entwickeltes Computerprogramm ermoeglicht eine gleichberechtigte Ueberlagerung. Helzle mischt Fotografie, Installationen und Performance. Seine Arbeit ist partizipativ, sie schliesst Teilnehmer ein. Seine Arbeit fragt nach der Beziehung zwischen Individuum und Kollektiv.

Das Konzept Homo Universalis setzt den Rahmen gross. Die Idee umspannt ein Feld, das Begegnungen mit so vielen Menschen wie moeglich projektiert. Institutionen und Organisationen liefern ihm Vorstrukturierungen menschlicher Gruppierung. Die Begegnung mit einzelnen ist die Microeinheit seiner kuenstlerischer Interaktion: Ein Maler gestaltet mit Farben im Atelier, ich gestalte mit Menschen in fotografischer Begegnung als konstitutivem Element, sagt Helzle. Das Produkt ist in jeder Stufe prozessual. Das jeweilige Ergebnis ist holographischer Natur. Als Teil einer globalen Begegnungskette, lassen sich seine Kollektivportraits als Fraktale lesen, die einen Gesamtraum im Auge behalten, reflektieren und beinhalten.
Das jeweilige Kollektivportrait entsteht aus Begegnung. Einzelportraits werden zu Kleingruppen fusioniert, Kleingruppen zu Grossgruppen, diese wiederum sind Teil des globalen Unternehmens Homo Universalis. Das Ende ist offen. Die Schichtung der Einzelbilder ermoeglicht, jedes Detail des Individuellen zu erhalten und in ein Komplexeres zu fusionieren. Als Palimpsest im digitalen Datenraum laesst der Prozess Kriterien wie Reihenfolge und individuelle Praegnanz gaenzlich unberuecksichtigt und ist tendenziell unabschliessbar. Palimpsest ist im traditionellen Sinne ein Text oder ein Gemaelde, der/das von einem weiteren ueberlagert und verunklaert wird. Es kann alles moegliche mit verschiedenen Schichten unter der Oberflaeche sein. Palimpsest laesst stets ein Gefuehl des Archaeologischen entstehen, das sich durch verschiedene Schichten zu ‚graben’ versucht. Palimpsest unterlaeuft das Konzept des Autors als einziger Quelle seines Werks und bezieht die Be-Deutung des Werkes aus einer endlosen Kette von Be-Zeichnungen. Es ist prozessual und synchron gleichzeitig. Helzle’s Arbeit befoerdert Gedanken an ein durch Begegnung gestaltetes inklusives Ganzes.
Beschreibt man die Aufgabe von Kunst aus systemtheoretischer Perspektive als Sichtbarmachung von Wahrnehmung, unterbricht der Kuenstler mit seiner Arbeit routinierte Wahrnehmungsprozesse in der Gesellschaft. Er durchkreuzt, konterkariert, unterlaeuft oder uebertreibt die Art und Weise, wie Menschen auf Farben, Gesten, Formen, Geraeusche und Empfindungen reagieren; indem er Wahrnehmung rahmt, ermoeglicht er Wahrnehmung als sichtbare, hoerbare, empfindbare Erfahrung. Als Maler zeigt er dem Betrachter, was es bedeutet, zu betrachten. Kunst irritiert auf diese Weise die Routine normalerweise unbewusster Wahrnehmung. Kunst, verstanden als Schaerfung der Selbstreflektion, macht Kunst Wahrnehmung als aktives Sehen, Hoeren, Empfinden wahrnehmbar.
Helzle’s Arbeit macht durch Begegnung sichtbar. Sie fragt in den Kontext endloser Bildproduktion nach sinnstiftenden Mustern, die zwischen Gesamt und Detail changieren, beides sichtbar und identifizierbar haltend. Das entstehende Doppelmuster setzt die Wahrnehmung in oszillierende Schwingung zwischen Individuum, Gruppierung, Ganzem. Face of Fraunhofer identifiziert im Produkt den Prozess, der sich nicht durch Wahrnehmung stillstellen laesst, sondern das Auge in oszillierender Bewegung in den Schichten der digitalen Ueberlagerung haelt. Face of Fraunhofer ist gleichzeitig Summe der Mitarbeiter und globale Sicht auf Eingebunden-Sein in komplexes Systemdenken. Die kuenstlerische Arbeit wird Device erweiterten Musterdenkens. Das technologisch erzeugte Ueberlagerungsmuster spiegelt Helzle’s Thema von Individuum und Kollektiv in Gleichberechtigtung als Gleichzeitigkeit.

Der Begegnungs-Prozess
Fuer die Arbeit Face of Fraunhofer wurden Mitarbeiter/innen eingeladen, am Projekt teilzunehmen. Die Aufnahmen fanden in 5 Tagen im Juli 2015 an vier Standorte in Fuerth, Dresden, Nuernberg und Erlangen. Eingebettet in eine komplexe Organisations- und Kommunikationsstruktur ist der Prozess der Begegnung konstitutiv fuer die Qualitaet von Helzle’s Arbeiten. Helzle definiert ihn performativ und choreographiert die Details des Settings ebenso wie die des fotographischen Ablaufs. Die rituelle Form ermoeglicht die Rahmung fuer Aufmerksamkeit und Intensitaet als gedehnte, vertiefte Zeit. Sie ist eine geschlossene Gestalt.
In minutioes gestaltetem Zeitraster betreten die Teilnehmer als Akteure das praefigurierte Setting. Die jeweils zur Verfuegung gestellten Raeume beduerfen der kuenstlerischen ‚Akupunktur’ durch Installation des Equipments, das gleichermassen funktional und poetisch gestaltet ist. Ein Teppich markiert die Aktionsflaeche heiter. Mattschwarzer textiler Hintergund grundiert samtig, Beleuchtungststative mit Schirmreflektoren, Tische fuer Archivierungs- und Organisationsarbeiten (Nummerierung und Zuordnung der Fotographien), gegenueberliegende Sitzplaetze fuer Kuenstler und Teilnehmer, eine durch Handstempel nummerierte Einladungskarte.
Schritte:
1. Begruessen
2. Platz nehmen
3. Fotographieren
4. Ergebnis gemeinsam befuerworten,
5. Serielles Nummerieren
6. Teilnahme durch roten Punkt auf der Schulter markieren
7. Zur Ausstellung einladen
8. Verabschieden
Helzle haelt die Intensitaetsspanne in schwebender Aufmerksamkeit, die er mit jedem Teilnehmer indivuduell durchquert. Dadurch gelingt ihm die gleiche bildnerische Qualitaet mit allen Beteiligten. Der rote Punkt, auf der Schulter der Teilnehmenden appliziert, markiert das Prozessende und die symbolische und faktische Inklusion in die entstehende Arbeit.

Dr. Anne Krefting